- Arnim: Das romantische Dreigestirn Achim von Arnim, Bettina von Arnim und Clemens Brentano
- Arnim: Das romantische Dreigestirn Achim von Arnim, Bettina von Arnim und Clemens Brentano»Säkulare Mystik« — mit diesem Stichwort charakterisiert der Naturlyriker Rudolf Alexander von Schröder (* 1878, ✝1962) eine der bizarrsten Erscheinungen der deutschen Frühromantik: eine Dichtergestalt, die im Schatten steht. Wer sich aber anschickt, den Schattenbereich, der sie umgibt, zu betreten, macht erstaunliche Entdeckungen, lernt ein Leben zwischen Pflicht und Neigung, Bindung und Freiheit kennen, zwischen Verantwortungsbewusstsein für die Zustände im Hier und Jetzt und phantasmagorischen Visionen, ein Leben, das nicht nur die deutsche Literatur- und Geistesgeschichte seiner Zeit, sondern auch das der nachfolgenden Epochen nachhaltig geprägt hat, und dies nicht zuletzt deswegen, weil an seine Seite zwei Gestalten traten: die Ehefrau Bettina und der Schwager Clemens Brentano. Zusammen bilden sie ein dreifaches Fixgestirn, das schon zu Lebzeiten vom Himmel der europäischen Romantik nicht wieder wegzudenken war.Auf einem zeitgenössischen Gemälde sehen wir einen schönen edlen jungen Mann mit einem schmalen Gesicht, kastanienbraunen, leicht gewellten Haaren, feiner, heller Haut, einer ausgeprägten Nase und einem sinnlichen Mund. Der Kopf ragt aus einem braunen Umhang hervor; die großen weichen Augen könnten die eines Mädchens sein. Die ganze Person hat etwas Entrückt-Altertümlich-Märchenhaftes. Man denkt an einen gebildeten Jüngling aus der Renaissance. Der junge Mann aber, den das Porträt darstellt, heißt Carl Joachim Friedrich Ludwig von Arnim.Der verkaufte SohnEr wird am 26. Januar 1781 in Berlin geboren. Seine Mutter, Amalie Caroline geborene von Labes, stirbt knapp einen Monat später, genau an dem Tag, an dem das Kind die Nottaufe erhält. Der Junge wächst bei einer energischen und lebenstüchtigen Großmutter auf, der zu diesem Zeitpunkt fünfzigjährigen Witwe Caroline Marianne Elisabeth von Labes, geborene von Daum (* 1730, ✝1810), die dem Schwiegersohn und Vater des Kindes, Joachim Erdmann von Arnim (* 1741, ✝1804), zunächst preußischer Gesandter in Kopenhagen, dann königlicher Schauspieldirektor in Berlin, nun aber mit der Verwaltung seiner Güter beschäftigt, das Sorgerecht für seine beiden Söhne Karl Joachim, genannt »Louis«, und den um zwei Jahre älteren Karl Otto, genannt »Pitt«, für 1 000 Taler abkauft. Offenbar traut sie dem Schwiegersohn nicht zu, dass er in der Lage ist, die beiden Jungen zu erziehen. Der Vater ist in Geldnöten und willigt in den Handel ein. Die Großmutter lebt in Zernikow auf ihren Besitztümern und der Herrschaft Bärwalde mit dem Schloss Wiepersdorf, doch sie besitzt auch eine Stadtwohnung in Berlin. Von ihr aus könnte Achim von Arnim zwischen seinem achten und zwölften Lebensjahr den Bau des Brandenburger Tores beobachtet haben. Standesgemäß wird er zunächst von einem Hofmeister, einem Hauslehrer also, erzogen, um dann 1793 in Berlin in das Joachimsthaler Gymnasium einzutreten. Der Junge ist ein guter Schüler. Er treibt gern Mathematik und Geschichte und ist bemüht, »gut in jedem Verhältnis seyn [zu] wollen«. Der leibliche Vater scheint sich um seine Söhne wenig gekümmert zu haben, trotz aller fast flehentlichen Signale. Es gibt nicht viele Zeugnisse aus dieser Kindheit. Dass sie unter diesen Umständen nicht sehr glücklich gewesen sein kann, lässt sich mit Sicherheit vermuten.Magnetismus und ein toter KameradIm Mai 1798 geht Arnim an die Universität Halle und immatrikuliert sich zunächst in Rechtswissenschaften. Mit Freunden und ehemaligen Klassenkameraden gründet er einen Studentenklub, in dem selbst verfasste Vorträge zu wissenschaftlichen Themen gehalten werden. Neben Jura und Philosophie hört er Mathematik, Chemie und Physik und veröffentlicht unter anderem eine Abhandlung zur Theorie elektrischer Erscheinungen, die in Fachkreisen Beachtung findet. In diese Studienzeit in Halle fällt auch ein trauriges Erlebnis, das ihn noch lange beschäftigt. Einer seiner Schulkameraden, Karl Franz von Golz, hat auf der Universität Anpassungsschwierigkeiten und leidet unter Depressionen. Aus Angst, den in ihn gesetzten Erwartungen nicht genügen zu können, nimmt er sich das Leben. Selbstmorde unter jungen Leuten sind in dieser Generation häufig. Seit dem Erscheinen und der weiten Verbreitung von Goethes Werther sind sie geradezu Mode geworden. Und doch lassen sich für die Zeitmode auch andere Erklärungen finden. Der sich anbahnende Verfall des Staatswesens in Preußen, der Niedergang der Feudalgesellschaft, unmenschliche Ehrbegriffe, eine in Konventionen erstarrte Moral, Unterdrückung des Gefühls, der Fantasie und all dessen, was Gewinnstreben und Karriere im Weg steht — das sind ein paar Stichworte, die auf das verweisen, was viele sensible junge Leuten damals in Lebensekel und Verzweiflung stürzt. Aus der kritischen Beobachtung seiner Umgebung verstärkt sich auch bei Arnim der Eindruck, dass der preußische Staat unweigerlich einer Katastrophe entgegentreibe, wenn nicht bald Reformen durchgeführt würden und die herrschende Adelsschicht nicht in stärkerem Maße soziales Verantwortungsbewusstsein entwickle. Dabei kommt Arnim selbst aus einer Familie, die sich durchaus mit dem Staat identifiziert. Auch bei dem jungen Mann darf man ein starkes, idealistisch gestimmtes Gefühl von Verantwortung für dieses Preußen voraussetzen. Welch kleinliche bürokratisch-reglementierende Hürden sich diesen großen Gefühlen entgegenstellen konnten, zeigt sich, als die beiden Brüder von Arnim von Halle an die Universität nach Göttingen wechseln wollen. Ein solcher Wechsel des Studienortes ist zu dieser Zeit nur innerhalb der Landesgrenzen möglich. Erst auf eine wiederholte Eingabe und als die Großmutter nachdrücklich insistiert, wird die Genehmigung schließlich erteilt. Achim von Arnim wechselt in Göttingen von Jura zur Mathematik. Er veröffentlicht weiter eifrig naturwissenschaftliche Aufsätze.Die freie Liebe und die verbotene Frucht der KunstPlötzlich aber kommt es zu einer Wende. Literatur und Musik gilt nun seine hauptsächliche Neigung, und diese Vorlieben werden gefördert durch die Bekanntschaft mit dem Violinvirtuosen und Komponisten Johann Friedrich Reichardt, der auf dem Landgut Giebichenstein lebt und ihn häufig dorthin einlädt. Reichardt (* 1752, ✝1814) hat Volkslieder gesammelt, und Arnim nimmt hier zum ersten Mal die Poesie dieses Liedgutes bewusst in sich auf. Bestärkt wird diese Abwendung von den Naturwissenschaften in dieser Zeit durch die enge Freundschaft mit der in unglücklicher Ehe lebenden Jeanette Dieterich, der Frau eines Göttinger Verlegers, die seine musischen Neigungen fördert. Eine andere wichtige Bekanntschaft ist die mit Johann Ludwig Tieck (* 1773, ✝1853), der nach abgebrochenem Studium als Schriftsteller lebt und mit Franz Sternbalds Wanderungen (1798) einen wilden Roman über einen hoch begabten, empfindsamen jungen Mann veröffentlicht hat. Tieck hat auch Volksmärchen bearbeitet und herausgegeben. Tiecks Vorliebe für das Grausam-Widersprüchliche, das Unbegreifbare und Unheimliche im Leben dürfte Arnim darin bestärkt haben, die Affinität zu solchen Ereignissen und Vorgängen in sich nicht länger zu unterdrücken. Noch hat Kunst für ihn etwas von einer »verführerischen, verbotenen Frucht«, die, wie er meint, den Menschen für die tätige, lebendige Welt unwiederbringlich verloren sein lässt. Es entsteht ein Konflikt. Da ist einerseits sein Lebensplan: »alles Gute und Ehrenvolle, was sich in den adligen Häusern. .. entwickelt hat, allgemein zu machen, alle Welt zu adeln«. Da ist andererseits das Verlangen, von der Brüchigkeit der Welt zu erzählen, vom Unheimlichen, von dem, was aus den Abgründen aufbrodelt. Diese Spannung wird für die Thematik seines eigenen literarischen Schaffens kennzeichnend bleiben. Das große Thema dieser Generation, angeschlagen auch in Friedrich Schlegels (* 1772, ✝1829) Roman Lucinde (1798), ist die Auflehnung gegen die sinnentleerten Normen der Konvention. Schlegels Roman zielt gegen den »Senat der Erhalter«, also gegen die Würdenträger und Repräsentanten der Gesellschaft. Die Liebe allein, verkündet er im Widerspruch zur Adels- und Bürgermoral, sei in der Lage, den Menschen aus Barbarei und Widernatürlichkeit zu retten. Damit wird die scheinbar private Botschaft des Romans zur subversiven Gesellschaftskritik. Die erste größere Prosaarbeit des jungen von Arnim, der sich nun, nach dem Abschluss seiner Göttinger Studienzeit im Herbst 1801, nicht mehr Louis, sondern Achim nennt, zeigt, dass mit der Thematik der Lucinde durchaus auch ihn beschäftigende Lebensprobleme angesprochen worden sind. In Arnims Roman Hollins Liebesleben (1802) zerbrechen Heldin und Held, weil sie sich über die bürgerliche Konvention mit einem außerehelichen Liebesverhältnis hinwegsetzen. In Göttingen schließt Arnim auch die für sein Leben und seine künstlerische Entwicklung folgenreichste Freundschaft: Er begegnet Clemens Brentano. Dieser hat eine unruhige und in der Trauer um die früh verstorbene Mutter leidvolle Jugend hinter sich. Aus großbürgerlicher Familie stammend, hat er früh damit begonnen, Verse zu machen, hat in den Kaufmannsberuf hineingeschnuppert und sich danach im Studium des Bergbaus versucht. Nun hört er Philosophievorlesungen, schreibt und umwirbt die Schriftstellerin und Professorengattin Sophie Mereau, die ihn nicht zuletzt an seine tote Mutter Maximiliane, die er im Alter von 14 Jahren verlor, erinnert. Schließlich geschieden und eigentlich entschlossen, das Leben einer »freien Autorin« zu führen, wird die Mereau von Clemens schwanger und willigt, nach der Scheidung ihrer ersten Ehe, 1804 in eine Eheschließung mit ihm ein. Clemens Brentano arbeitet in Göttingen an Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter (1801). Im zweiten Teil des Buches begegnet der Held »einem Jüngling aus einem reichen Kaufmannshaus, der jede produktive Tätigkeit ablehnt und das Leben eines Abenteurers und Bohemiens führt«, ohne Zweifel ein Selbstbildnis. Brentano erzählt Achim von Arnim schwärmerisch von seinen hübschen Schwestern Kunigunde (»Gunda«, *1780, ✝1863) und Elisabeth (»Bettina«, *1785, ✝1859), die in Offenbach und Frankfurt leben. Bettina sähe er am liebsten in Achim verliebt, mit ihm verlobt und bald verheiratet.Kavalierstour und BettinaIm Frühjahr 1802 bricht Achim mit seinem Bruder Pitt zu der für einen jungen Adligen üblichen Kavaliers- bzw. Bildungstour durch Europa auf. Er will die viel gepriesene Bettina, die eigentlich mit dem Taufnamen Elisabeth heißt, in Augenschein nehmen, aber auch Brentanos Geschwister, die im »Haus zum Goldenen Kopf« in Frankfurt am Main leben, näher kennen lernen. Schon jetzt gehört zum Freundeskreis Clemens Brentanos und seiner Schwestern auch Friedrich Karl von Savigny, dessen Hofgut Trages mit Herrenhaus und Park in der Nähe von Hanau in den kommenden Jahren zum Treffpunkt eines Kreises romantisch gestimmter und literarisch interessierter junger Leute wird. Gerade weil sie sich — ginge es nach Clemens» Wunsch und Willen — ineinander verlieben sollen, begegnen sich Achim und die zu diesem Zeitpunkt 15-jährige Bettina Brentano mit Vorsicht und Zögern. Als Clemens und Achim mit dem Marktschiff von Frankfurt nach Mainz wieder abfahren, winkt Bettina den beiden zwar sehnsuchtsvoll nach, dabei hat sie sich aber gegenüber Achim von Arnim während seines Aufenthalts in Frankfurt eher spröde, kühl und stachelig gegeben. Die Reise des damals 21-jährigen Achim von Arnim führt ihn über Dresden, Regensburg, München und Wien nach Frankfurt, von da weiter nach Stuttgart, zum Rheinfall bei Schaffhausen und zu Huttens Grab auf der Insel Ufenau im Zürichsee. Er und sein Bruder haben für die auf zwei Jahre angelegte Kavalierstour 4 000 Taler zur Verfügung. Eine solche Bildungsreise hatte den Zweck, einem jungen Mann, ehe er in einen Beruf oder ein Amt eintrat, die Zeit zu geben, sich über Sinn und Ziel seines Lebens klar zu werden. Und Arnim nutzt diese Zeit. Nach einem Abstecher über Como — der italienischen Heimat der Brentanos — nach Mailand enthält ein bekenntnishafter Brief aus Bern an Clemens Brentano seinen Lebensplan. Darin steht der die Dichtkunst nun über alles erhebende Satz: »Alles geschieht in der Welt der Poesie wegen, die Geschichte ist der allgemeinste Ausdruck dafür.« Der gedankliche Versuch, preußisches Pflichtbewusstsein und Künstlertum in sich zum Einklang zu bringen, drückt sich aus in den Worten: »Nur wenige, und das sind die Poeten, werden genug begünstigt, dass ihnen die Arbeit zum Spiel wird, und sie müssen für die übrige Menschheit arbeiten.« Diese Verherrlichung der Dichter wird aber dann sogleich, und das ist bezeichnend für Arnim, mit einer Anweisung zur Pflicht versehen: »Wer sich daher Poet nennt. .. zeigt keinen Stolz, sondern höchste Tugend an; er ist ein wahrer Märtyrer und Eremit, er betet und kasteit sich für andere, damit sie das Leben haben.« Ausgehend von dieser Generalanweisung folgen konkretere Auslassungen, was zu tun sei, um in finsterer Zeit deutsche Probleme durch die Kunst zu heilen. Da ist von einer Sprach- und Singschule die Rede, von einer Schule für Bänkelsänger, von einer Schule der Dichtkunst, die im Schloss Lauffen beim Rheinfall eingerichtet werden solle. Von der Schweiz geht es zunächst an die französische Mittelmeerküste, dann nach Paris. Dort wird er Napoleon vorgestellt, doch nach den begeisterten Eindrücken in Südfrankreich ruft Paris bei ihm während seines fünfmonatigen Aufenthalts eher Abscheu hervor. Dennoch, zurück in die Heimat will er nicht. Er reist weiter nach England, besucht London und begeistert sich an den romantischen Landschaften Schottlands und Wales', kritisiert aber auch hier den krassen Materialismus, auf den er überall stößt. Letzte Station der Reise wird dann wieder London, wo sie von 1803 bis zum Spätherbst 1804 ihren Aufenthalt haben. Der Tod des Vaters 1804 und die Notwendigkeit, sich um die Bewirtschaftung der geerbten Güter zu kümmern, zwingt sie zur Rückkehr.Es beginnt für Achim von Arnim ein Zeitabschnitt, in dem, in Zusammenarbeit mit Clemens Brentano, die für die deutsche Literatur exemplarische Sammlung von Volkspoesie Des Knaben Wunderhorn entsteht, in der es aber auch zu einer immer intensiveren Annäherung zwischen ihm und Bettina Brentano kommt. Der erste Band der Volksliedersammlung erscheint zur Michaelismesse 1805. Bei einem Besuch Arnims in Weimar bei Goethe äußert der Dichterfürst gedämpftes Lob. Während die poetische Bedeutung der Liedsammlung, die wie die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm die Volksdichtung aufwerten, auf der Hand liegt, ist ihre indirekte politische Wirkung selten beachtet worden. Diese zeigt sich unter anderem in einer Äußerung des preußischen Reformers Freiherr vom Stein, der schreibt: »In Heidelberg [mit der Sammlung der Volkslieder] hat sich ein guter Teil des deutschen Feuers entzündet, welches später die Franzosen [Napoleon] verzehrte.«. Was die Beziehung zu Bettina betrifft, die Achim von Arnim nun häufig sieht und, sind sie getrennt, mit der er ständig Briefe wechselt, so kann man annehmen, dass der tragische Selbstmord von Bettinas engster Freundin, Karoline von Günderrode, die Liebenden vor einer endgültigen Bindung noch zurückschrecken ließ. Daneben spielen Bettinas schwärmerisches Verhältnis zu Goethe und die familiären Katastrophen bei Clemens Brentano — seine Frau Sophie stirbt bei der Geburt des dritten Kindes, das ebenfalls nicht überlebt — eine hemmende Rolle. Im Spätsommer 1806 kommt es zwischen dem napoleonischen Frankreich und Preußen zum Krieg. Die beiden Dichterfreunde Clemens und Achim sehen sich innerhalb Deutschlands auf die Territorien von Kriegsgegnern versetzt. Achim verteilt in Göttingen »Kriegslieder«, um den Widerstand gegen Napoleon anzufachen. Auf Clemens Brentanos Sorge, sie könnten vielleicht gezwungen sein, als Soldaten, in verschiedenen Lagern stehend, einander totschießen zu müssen, hat von Arnim zuvor schon in einem Brief Stellung genommen: »Kommt es zum Krieg, so ist unser Vaterland nicht Berlin, nicht die Mark, nicht hier und da, sondern in den Menschen; das Übrige mag in Flammen aufgehen, diese werden sich daran wärmen.« Nach der Niederlage Preußens in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt folgt Achim von Arnim dem flüchtenden preußischen Hof bis nach Königsberg. Er ist nun entschlossen, den Kampf gegen Napoleon mit literarischen Mitteln fortzusetzen. Während der unglücklichen Liebe Achim von Arnims zu Auguste Schwink, der Tochter eines Königsberger Kommerzienrates, bleibt die Verbindung zu Bettina trotz des langen Postwegs — ein Brief zwischen Königsberg und Frankfurt bzw. Marburg wird über Kopenhagen zugestellt — zwar bestehen, aber erst nach seiner Abreise aus Königsberg im Herbst 1807 geht die Anrede in den Briefen zum »Du« über. Auguste Schwink hatte sich unterdessen mit einem anderen Mann verlobt und diesen im Mai 1807 geheiratet.Pflichten und EnttäuschungenNach dem Frieden von Tilsit zwischen Frankreich und Preußen im Juli 1807 und nach dem Tod der Großmutter sieht sich von Arnim zur Verwaltung des Familienbesitzes in die Pflicht genommen. Bettina lebt unterdessen im Haushalt Friedrich Karl von Savignys, der ihre Schwester Gundel geheiratet hatte und zuerst als Professor der Rechtswissenschaft in Marburg, dann in Landshut und schließlich ab 1810 an der neu gegründeten Universität Berlin Vorlesungen hält. In diesem Jahr kommt es erneut zu einer melodramatischen, später gewiss von ihr romantisch verklärten Begegnung zwischen Goethe und Bettina in Teplitz, aber dann doch zur Verlobung Bettinas mit Achim von Arnim. Anschließend teilen die Freunde Clemens und Achim eine Wohnung in Berlin, während Bettina weiter im Haushalt der Savignys lebt. Endlich, am 11. März 1811, werden Achim von Arnim und Bettina heimlich in Berlin getraut. Erst eine Woche später teilen sie ihre Eheschließung ihren Verwandten und Freunden mit. In diesem Jahr kommt es durch von Arnims Initiative zur Gründung der »Christlich-deutschen Tischgesellschaft«, an der unter anderem der Komponist Reichardt, Clemens Brentano (dessen zweite Ehe im gleichen Jahr geschieden wird), Heinrich von Kleist, bürgerliche Liberale wie der Theologe Friedrich Schleiermacher (* 1768, ✝1834), aber auch altständisch-reaktionäre Männer wie der Publizist Adam Müller (* 1779, ✝1829) teilnehmen. Zwar wendet sich die Runde gegen die restaurative Regierungspolitik und gegen »lederne Philister«. Andererseits sind aber Frauen und Juden von ihr ausgeschlossen, und zwar ausdrücklich auch solche, die durch Taufe zum Christentum übergetreten sind. Zwar steht die Ablehnung alles Fremden und »Undeutschen« unter dem Vorzeichen des Widerstands gegen Napoleon, aber Achim von Arnims Judenfeindlichkeit ist durchaus auch von persönlichen Erfahrungen bedingt, nämlich von seinem konfliktreichen Umgang als verschuldeter Grundbesitzer mit den Banken, die nicht selten von Juden geleitet wurden. Tatsächlich kommt es in Deutschland nur wenige Jahre später zu den ersten öffentlichen Judenverfolgungen des 19. Jahrhunderts. So unsinnig es wäre, Achim von Arnim eine direkte Schuld daran zuzuweisen, spiegeln seine Polemik und die Haltung der »Christlich-deutschen Tischgesellschaft« doch eine sich ausbreitende Zeitstimmung. Als das Ehepaar von Arnim im August zum Verwandtenbesuch nach Frankfurt am Main reist und in Weimar Station macht, kommt es in einer Ausstellung zu einem Streit zwischen Goethes Ehefrau Christiane und der schwangeren Bettina. Trotz eines außerordentlich diplomatisch abgefassten Briefes Achim von Arnims ist und bleibt das Verhältnis zu Goethe von nun an gestört. Als Bettina und Achim von Arnim in Westdeutschland danach kurz getrennt sind, schickt Achim seiner Frau von Heidelberg nach Frankfurt eines der schönsten Liebesgedichte deutscher Sprache, ungewöhnlich schon allein dadurch, dass es die Liebe eines Ehemanns zu seiner Ehefrau zum Thema hat. Bezeichnend für seine Bewusstseinsveränderung ist, dass er nun in seinem nächsten Roman nicht wie die anderen Romantiker die freie Liebe, sondern die Ehe als verpflichtendes Ordnungsprinzip feiert. Der 1810 erschienene Roman Armuth, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores, eine von den Wahlverwandtschaften Goethes (1809) deutlich beeinflusste Geschichte, enthält die Botschaft: Die Ehe, begriffen als »unverletzliche, unlösliche Bindung von christlich-sakralem Charakter. .. ist eine soziale, in der Überlieferung und Sitte verankerte Gegebenheit und die kleinste Zelle der Gesellschaft, die es anzuerkennen gilt und in der jeder seine Pflicht zu erfüllen hat. Wer sie verletzt, fördert die Anarchie« (Gerhardt Schneider). 1811 wird von Arnim zum Hauptmann des Berliner Landsturmbataillons ernannt. Eine Offiziersstelle in der Landwehr ist ihm verweigert worden. Um die Ausrüstung der Einheit zu finanzieren, gibt er einen Band dramatischer Versuche und Bearbeitungen historisch-anekdotischer Stoffe unter dem Titel Die Schaubühne heraus. In dem von ihm beigesteuerten Puppenspiel Die Appelmänner opfert der Bürgermeister von Stargardt den missratenen Sohn dem Buchstaben des Gesetzes, ein ähnliches Motiv wie im Prinz von Homburg Heinrich von Kleists, der im selben Jahr 1811 am 21. November am Ufer des Kleinen Wannsees Selbstmord begeht. Der Landsturm, diese sich aus dem niederen Volk rekrutierende militärische Gruppierung, scheint der Regierung gefährlich. Mit anderen Zivilisten, dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte (* 1762, ✝1814) und seinem Schwager Friedrich Karl von Savigny protestiert er gegen die Aufhebung des Landsturms. Im Herbst 1813 übernimmt er die Schriftleitung der »Preußischen Korrespondenz«, einer von dem Historiker Barthold Georg Niebuhr (* 1776, ✝1831) gegründeten politischen Zeitung. Er schreibt patriotische Artikel, bespricht politische Bücher, verfasst Nachrufe auf den 1813 bei Gadebusch gefallenen Dichter Theodor Körner (* 1791) und Fichte. Trotz vorsichtiger, zwischen Reformertum und Konservativismus vermittelnder Haltung gibt er 1814, entnervt von der Zensur, diesen Posten auf.Die »Trösteinsamkeit«Danach zieht er sich auf sein Gut Wiepersdorf in der Mark Brandenburg zurück, zu der wachsenden Schar von Kindern, zu der schwierigen Bewirtschaftung der mit Schulden belasteten Güter, zur Arbeit an einem umfangreichen Roman mit dem Titel Die Kronenwächter, dessen erster Band 1817 erscheint und unter Kollegen wie unter literarisch interessierten Zeitgenossen als von Arnims reifste Leistung angesehen wird. Wilhelm Grimm etwa kommentierte das Erscheinen des ersten Bandes mit den Worten: »Etwas so Geschlossenes, Zusammenhaltendes kennen wir von ihm noch nicht.« Die Handlung geht auf eine handschriftliche schwäbische Chronik aus der Stadt Waiblingen zurück. Bertold, der Held der Geschichte, die zur Zeit der Kämpfe zwischen dem Herzog Ulrich von Württemberg und dem Schwäbischen Bund spielt, wird von einem Abgesandten des Geheimbundes der Kronenwächter, der die Wiederherstellung des Stauferreiches vorbereitet, als Findelkind dem Turmwächter der Stadt Waiblingen zur Pflege übergeben und steigt zum wohlhabenden Textilindustriellen und Bürgermeister der kleinen schwäbischen Stadt auf. In die Auseinandersetzung zwischen Adel und Bürgertum hineingezogen, wird er als Bürgermeister gestürzt. Am Tag der Taufe seines Sohnes stirbt Bertold am Grab der Staufer in Lorch. Der unvollendete zweite Teil setzt 1519 mit Aktionen der Bilderstürmer ein, die die wirtschaftliche Existenz des Malers Anton zerstören. Er wird Landsknecht, erfährt, dass sein leiblicher Vater der Graf Rappolt von Stock ist, und wird mithilfe einer siegesverleihenden Zauberwaffe und eines Glückssäckels zu einem Volkshelden im deutschen Südwesten. Die Volksverbundenheit des Helden im zweiten Teil kann nicht über die konservativ-romantische Position des Autors hinwegtäuschen. Zwar findet sich in Achim von Arnims Nachlass eine Notiz, dass er Anton als »einen leidenschaftlichen Verfechter der Bauernfreiheit« darstellen wollte, zwar wird der Adel als entartet kritisiert. Insofern trägt der Roman bzw. sein Entwurf, was die Zukunft Deutschlands im 19. Jahrhundert nach Achim von Arnims Tod angeht, geradezu prophetische Züge und belegt zugleich, dass sich die romantischen Intellektuellen die Erneuerung Deutschlands durch das Volk, also durch einen demokratischen Aufbruch, nicht vorstellen konnten. Wichtig aber bleibt, dass hier ein Modell des historischen Romans entwickelt worden ist, den Romanen von Walter Scott (* 1771, ✝1832) nur insofern unterlegen, als von Arnim seiner ausschweifenden Fantasie eine viel zu große Rolle einräumt. Gegenüber Werken der Frühromantik wie Novalis' Heinrich von Ofterdingen besteht hier ein großer Fortschritt darin, dass kulturhistorische Schilderungen realitätsbezogen sind und auf Kenntnis der Quellen beruhen. Die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens verbringt Achim von Arnim auf dem Land. Nur wenige Reisen unterbrechen das durchaus tätigkeitsreiche Landleben. Man könnte mit einem modernen Schlagwort von »innerer Emigration« sprechen. Die drei Güter, die Achim von Arnim und seinem Bruder gehören, bringen an Pacht jährlich 8 000 Taler ein, gerade genug, um die Zinsen der Schuldenlast von 150 000 Talern zu begleichen und der Familie ein sparsames, standesgemäßes Auskommen zu sichern. Ehefrau Bettina, geplagt von ländlicher Langeweile, lebt mit den Kindern — es sind schließlich sieben, vier Söhne und drei Mädchen — lange Zeit in einer Wohnung in Berlin — was uns freilich den eindrucksvollen Briefwechsel der Ehepartner beschert hat. Die isolierten, der literarischen Welt eher abgewandten Lebensumstände bringen den Dichter in von Arnim nicht zum Verstummen. Zwei wichtige, auch heute noch mit Gewinn zu lesende Novellen, Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau (1818) und Die Majorats-Herren (1819), entstehen, dazu eine Vielzahl von Gedichten, die zwischen spielerischer Naivität und Sinnesfreude changieren. Wie schon früher — und wie späterhin auch Bettina — stellt Achim von Arnim dabei sein literarisches Schaffen häufig in den Dienst einer karitativen Aufgabe: Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau — zweifellos sein novellistisches Meisterwerk — wird zum ersten Mal 1818 in der Anthologie Gaben der Milde veröffentlicht, deren Ertrag Kriegswaisen und Invaliden zugute kommt. Daneben wird die Arbeit an dem großen Roman fortgeführt. Aber die Grundstimmung dieser Lebensjahre ist die der Einsamkeit. »Trösteinsamkeit« (der Titel der Buchausgabe der »Einsiedler«-Zeitung aus der Heidelberger Zeit) ist das Stichwort, das er selbst für diesen ambivalenten Zustand findet. In seinen Gedichten steht die Zeile: »Im Wald, im Wald, da schrei ich mich aus, weil ich vor aller Welt schweige.« Wilhelm Grimm — die Grimms und das Ehepaar Brentano waren über lange Jahre hin eng befreundet — hat notiert: »Er war jemand, der plötzlich die Gesellschaft verlässt, um in Waldeinsamkeit bloß mit den eigenen Gedanken zu verkehren.« Noch zweimal unternimmt er eine längere Reise: zur Kur nach Aachen sowie nach Österreich und Süddeutschland. Am 21. Januar 1831 kommt das plötzliche Ende. Wenige Tage vor seinem 50. Geburtstag stirbt Achim von Arnim an den Folgen eines Gehirnschlages.Antiquar und Vorfahr des SurrealismusHeinrich Heine rühmt Achim von Arnim in seiner Romantischen Schule. Er fällt ein einsichtiges Urteil über von Arnims romantische Zerrissenheit und trifft eine zutreffende Aussage über die Ursache der eher geringen Popularität seines Werkes: »Warum vernachlässigt nun das deutsche Volk einen Schriftsteller, dessen Fantasie von weltumfassender Weite, dessen Gemüt von schauerlicher Tiefe und dessen Darstellungsgabe so unübertrefflich war? Etwas fehlte diesem Dichter, und dieses Etwas ist eben, was das Volk in den Büchern sucht: Das Leben. .. Er war kein Dichter des Lebens, sondern des Todes, in allem, was er schrieb, herrscht nur eine schattenhafte Bewegung. ..« Heines »Nachrede« hatte Konsequenzen. 1856 übersetzte Théophile Gautier drei der Novellen von Arnims in seine Sprache. Wohl hierdurch gilt Arnim heute in Frankreich als Ahnherr des Surrealismus. Gewiss aber kann man sagen, dass von Arnims Hauptverdienst in der Bewahrung und Vermittlung halb vergessener Literaturdenkmäler liegt. Er war der »Antiquar« unter den romantischen Autoren, der Volkslieder, Fastnachtsspiele und Volksbücher, Anekdoten, Kuriositäten und Schwänke aufspürte, bearbeitete und für das zeitgenössische Publikum attraktiv aufzubereiten versuchte.Mit dem Tod des Ehemanns beginnt das öffentliche und literarische Leben seiner Ehefrau Bettina. Sie organisiert die Herausgabe seines Gesamtwerkes und entfaltet nach Achim von Arnims Tod selbst eine umfangreiche literarische Produktion. Mögen manche ihrer Einfälle den Zeitgenossen grotesk erscheinen, mag ihr Wesen zum Überschwänglichen neigen, allein wegen ihres tapferen politischen Engagements, wegen ihrer Zivilcourage wird sie von der modernen Emanzipationsbewegung der Frauen mit Recht als eine ihrer Vorkämpferinnen angesehen: Bettina gibt ab 1831 als Verlegerin und Herausgeberin Achim von Arnims Gesamtwerk unter dem Patronat Wilhelm Grimms heraus. Es folgen die aus abgeänderten bzw. bearbeiteten Briefen bestehenden Bände Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (1835), bei dem das Wort »Kind« im Titel irreführend ist, Die Günderrode und Clemens Brentanos Frühlingskranz (1844).Bei der Choleraepidemie im Armenviertel von Berlin (»Vogtland«) 1831 mit 1 500 Toten hilft sie den Kranken und kauft und verteilt Nahrungsmittel, unterstützt von Schleiermacher. 1837 tritt sie für die wegen ihres Protestes gegen die Aufhebung der Verfassung von 1833 durch König Ernst August II. von Hannover entlassenen Professoren der »Göttinger Sieben«, unter denen sich auch die Brüder Grimm befinden, ein. Sie fordert in Schreiben an ihren Schwager Karl von Savigny und den Kronprinzen die Anstellung der Grimms an der Universität Berlin. König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen versucht sie durch die Schrift Dies Buch gehört dem König (1842) auf die kritische Situation der Unterschicht (Not der schlesischen Weber) aufmerksam zu machen. Sie setzt sich tapfer für politisch Verfolgte und Gefangene ein, doch wird das Erscheinen der sozialkritisch-utopischen Schriften Armenbuch (1844), Gespräche mit Dämonen und Das Königsbuch zweiter Band (1852) zu ihren Lebzeiten durch die Zensur verhindert bzw. von ihr wegen des Weberaufstandes zurückgezogen. Über die Barrikadenkämpfe der Märzrevolution in Berlin verfasst sie Berichte. Ihre Wohnung »In den Zelten 5« zu Berlin ist ein Zentrum der demokratischen Opposition. In diesem Jahr erscheint schließlich doch noch ihr zuvor beschlagnahmter Briefroman Ilius Pamphilius. 1853 erscheinen Bettina von Arnims Sämtliche Schriften in elf Bänden. 1854 erleidet sie auf einer Reise über Weimar und Frankfurt nach Bonn einen ersten Schlaganfall. Am 20. Januar 1859, einen Tag vor Achims achtzehntem Todestag, stirbt Bettina in Berlin. Sie wird nach Gut Wiepersdorf überführt und dort an der Seite ihres Mannes bestattet.Hans-Christian KirschHelene M. Kastinger Riley: Achim von Arnim. Reinbek 1994.«Frische Jugend, reich an Hoffen« — der junge Arnim. Zernikower Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft, herausgegeben von Roswitha Burwick und Heinz Härtl. Tübingen 2000.Universelle Entwürfe — Integration — Rückzug. Arnims Berliner Zeit (1809-1814), herausgegeben von Ulfert Ricklefs. Tübingen 2000.
Universal-Lexikon. 2012.